Leopard

Aus dem Sanella-Album Afrika

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Seite 55

Der Leopard ist überall und nirgends. Stunden und aber Stunden hatten wir bisher vergeblich den Wald durchstreift, und auch den scharfen Augen unserer Begleiter war es nicht gelungen, auch nur eine einzige Spur von dem gesuchten Tier zu finden. Stundenlanges vergebliches Umherstreifen in der feuchten, stickigen Luft der Regenwälder trägt bestimmt nicht zu guter Stimmung bei. Mr. Brand und ich waren daher einigermaßen mißmutig und bereiteten uns im stillen auf eine ergebnislose Jagd vor. Am frühen Nachmittag hörten wir aus der Ferne das wilde aufgeregte Orgeln einer Affenherde. Wir sahen darin keineswegs etwas Besonderes. Die kleinen Jäger aber waren sofort hellwach und zogen in die Richtung, aus der das Gekreisch kam. Beim Näherkommen wurde der Lärm immer heftiger, und es hörte sich an, als wenn die Tiere zornig schimpften und schrien. Der ganze Wald war in voller Aufregung, alles krächzte und zeterte, quietschte und piepste wild durcheinander. Die Affen sprangen aufgeregt in den Bäumen herum und schienen etwas zu verfolgen. Einige alte männliche Paviane tobten auf einem Affenbrotbaum herum mit allen Zeichen der Wut.

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Böse blickten sie in das Dickicht und ließen tiefe grollende Laute hören. Hier mußte etwas Besonderes los sein. Wir hatten uns herangeschlichen. Richtig! Da sahen wir auf einmal den Leoparden vor uns. Die Färbung seines Felles machte ihn fast unsichtbar. Chui hatte einen Pavian getötet und mitgeschleift. Über das wütende Lärmen der verfolgenden Affen schüttelte er nur unwillig den Kopf, so daß das tote Tier in seinem Rachen wie ein blutiger Fetzen hin und her geschleudert wurde. Aus unserem Versteck heraus konnten wir beobachten, wie er die Eingeweide aus dem blutigen Körper der Beute riß, gierig Herz und Leber fraß und die Reste des geschlagenen Tieres mit einem eleganten Sprung ins Astwerk der Bäume schleppte und dort verbarg. Die Mordlust des Leoparden hatte mich so ergrimmt, daß ich fast im Unterbewußtsein mein Gewehr anlegte und schoß. Das Peitschen des Schusses zerriß das Lärmen der Urwaldtragödie mit einem Schlag. Als mir darauf ein wütender, fauchender, katzenartiger Schrei anzeigte, daß der Räuber nur angeschweißt sein konnte, war ich zu Tode erschrocken. Wenn es auch vorkommt, daß Leoparden vor den Menschen flüchtig werden, so zählen sie angeschossen doch zu den gefährlichsten Gegnern. Da sprang auch schon das blutgezeichnete Raubtier aus der luftigen schattigen Höhe der Baumkrone auf die Erde. Einen Moment verhielt es und versuchte, das am rechten Hinterlauf herabrieselnde Blut abzulecken. Doch dann erklang wieder der gereizte, knurrende Ton dieser räuberischen Katze, die langsam auf mein Versteck zukam. Ich sah die mordgierig funkelnden Augen und das kräftige Raubtiergebiß des sich geschmeidig wiegenden Leoparden immer näher kommen. Ich war wie gelähmt. Keinen Finger konnte ich rühren.

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Ich wollte vor Angst laut schreien, doch wie ein Kloß saß es mir in der Kehle, und das Blut in den Schläfen hämmerte, als wenn es mir den Kopf zersprengen wollte. In höchster Todesangst liefen mir in Sekundenschnelle die Erinnerungen wie ein Filmband vor den Augen ab: ich sah die Eltern, die Heimat, die "Oldenburg", die Erlebnisse mit der Filmexpedition und Brand. Ich glaube, mir wollten gerade die Sinne entschwinden, als ich die raubgierige Bestie wie vom Schlage getroffen zusammenzucken sah. Mit einem Hagel von vergifteten Pfeilen hatten unsere Begleiter gerade noch rechtzeitig das Tier überschüttet. Und noch ehe das Gift seine Wirkung getan hatte, trat ein besonders mutiger Benia- Bongo=Jäger aus dem Busch und warf einen blitzenden Speer mit so großer Wucht auf das Tier, daß es wie an den Boden geheftet schien, und der Schaft des Speeres zitterte. Das war Rettung in höchster Not. Diese kleinen, oft so gefährlichen Zwergmenschen hatten mir das Leben gerettet. Es dauerte einige Zeit, bis ich von dem Druck dieses Erlebnisses befreit war. Als die tüchtigen Jäger die Beute aufgenommen hatten und wir zum Kral zurückgingen, erklang wieder das Kreischen der Affen. Jetzt aber hörte es sich wie ein kicherndes Hohngelächter an. Noch lange saß ich an diesem Abend mit Mr. Brand in unserem Wagen. Immer wieder sprachen wir über das jüngste Erlebnis. Es wurde uns dabei so recht deutlich, wie sehr uns der dunkle Erdteil schon zu wirklichen Freunden zusammengeschweißt hatte. Mit einigen guten Tropfen aus Brands "Hausapotheke" besiegelten wir erneut unsere Freundschaft, und Brand bot mir an, ihn in Zukunft nur noch Bill zu nennen.

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